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Tromsø Skyrace: Wenn du glaubst, du kennst dich mit Trailrunning aus

„Sorry guys, sorry guys.“ Vom winzigen Hamperokken-Gipfel auf 1404 Metern geht es senkrecht runter. Ein Kletterseil als Hilfe – nicht als Sicherung. Der Italiener vor mir ist kurz vor Panik, kurz vor Starre. „Easy man, take your time. No hurry. We all want to get down alive.“ Zitternd schiebt er einen Fuß vor den anderen, krallt sich am Felsen fest. Es sind etwa 20 Meter, bis die Bergspitze sich minimal weitet, das Seil endet. Er schafft es. Stützt sich an die Felswand. Bleich. Atmung kurz vor Hyperventilation. „Do you need anything? Do you have water?“ Er nickt, winkt ab. Wir steigen weiter runter.

Die nächsten rund 800 Höhenmeter abwärts denke ich öfter an ihn. Er wird sich nur noch nach Hause wünschen, denn der Abstieg besteht ausschließlich aus rutschigem Sand, Steinen und immer wieder Felsspitzen. Keine Absturzgefahr, aber fiese Knochenbrechsturzgefahr. Mich schmeißt es nach der Hälfte. Schwerpunkt runter, auf dem Arsch landen. Alles gut. „Falling here is easy, it‘s perhaps the most technical part,“ muntert mich ein Norweger auf, nachdem er sich versichert hat, dass ich ok bin. Er macht den Harakiri-Abstieg schneller als ich. Stürzt selber 3 Minuten später. Rutscht. Rappelt sich auf. Weiter. Ich will nur noch von diesem verdammten Berg runter.

Tromsø Skyrace - Abstieg vom Hamperokken (c) Tromsø Skyrace / Race Briefing 2019
Tromsø Skyrace – Abstieg vom Hamperokken (c) Tromsø Skyrace / Race Briefing 2019

Als wir endlich am wunderschönen Bergsee ankommen denke ich an die erste Hälfte des Tromsø Skyrace. Da dachte ich schon, ich hätte verstanden, was mit „extremely technical“ gemeint war. Nach weniger als 3 km durch Tromsø geht es einen schönen Trail zur Seilbahnstation hoch, von dort weiter auf den Bønntuva. Bevor wir oben sind, passieren wir das erste endlose wirkende Geröllfeld. Aufpassen, bevor es wieder flowig wird. Leichte Trails, downhill, Fersengas. Eine Freude. Dann der nächste Anstieg. Immer weiter. Steil. Es wird tatsächlich eng mit der Cut Off Zeit. Das ist ein bisher unbekanntes Gefühl. Und es geht immer weiter hoch.

Hamperokken Skyrace 2019: der Showdown naht

Mallorca. Finka. Anfang Februar. Ich habe eine Verabredung mit dem Schicksal. Vor Monaten habe ich das erste Mal vom Hamperokken Skyrace in Tromsø, Norwegen, gehört. 57km lang, 4800 Höhenmeter.

Whaaaaat?!

Hillary Gerardi, winner 2018 (c)  Hamperokken Skyrace / David Gonthier
Hillary Gerardi, winner 2018 (c) Hamperokken Skyrace / David Gonthier

Diese Bilder. Diese Videos! Liebe auf den ersten Blick. Und Ehrfurcht. Viel davon. Ein Setting zwischen Lord of the Rings und Black Metal. Ein schmaler und umso steiler abfallender Grat. So furchteinflößend wie faszinierend. Die Geschichte konnte von Anfang an nur ein Ende nehmen – ich werde nach Norwegen fliegen und das Ding laufen. Und ich werde es finishen! Es wird mein größtes Abenteuer 2019.

Hindernisse? Seltsames Wort. Laut Duden ein „hindernder Umstand, Sachverhalt; Hemmnis, Schwierigkeit“ Ok, zu diesem Zeitpunkt war mein härtester Lauf der Heldentrail vom Südthüringentrail. Ordentliche Kante mit 65km und 2.500 Höhenmetern. Aber nicht alpin. Keine Absturzgefahr. Kein gnadenloser Grat. Und keine 4.800 Höhenmeter! Da hätten wir ein sehr ernsthaftes Hindernis. Wtf, wird ignoriert.

Mallorca. Die Anmeldung öffnet. Server in Norwegen und WLAN in der Finka sind lahm. 30 Minuten nach Öffnung dann die Bestätigung. Ich bin drin! Fuck – ich bin drin! Ich laufe das verdammte Hamperokken Skyrace! Totaler Flash! Doch was genau heißt das? Viel trainieren. Vorbereiten. Lange Läufe wie der Rennsteig Supermarathon. Höhenmeter sammeln, z. B. beim FichtelbergUltra. Alpine Erfahrung holen beim Zugspitz Ultratrail.

Jetzt sitze ich hier. Im flachen Berlin. Tapere. Übermorgen geht der Flieger. Ich habe das WE mit viel Rennrad- und CX-fahren verbracht. Knochen schonen aber Muskeln warmhalten. Jetzt komplett erholen. Ich schaue mir Videos an, lese berichte. Verdammt, worauf habe ich mich da eingelassen?

Es wird der Hammer. Es wird intensiv. Ich freue mich derbe. Dieser Lauf und ich – wir sind weiterhin füreinander gemacht. Hoffe ich. Körperlich bin gut vorbereitet. Da mache ich mir keine Sorgen. Aber wie sieht es technisch aus? Es wird spannend.

Interessant übrigens, dass es von den Veranstaltern keine letzten Infos vor der Anreise gibt. Es gibt auch keine Pflichtausrüstung, die mitgebracht werden muss. Ganz anders als beim Zugspitz Ultratrail, wo es absolut sinnvoll ist und geprüft wird. Ganz anders als beim Maintal Ultratrail, wo es unnötig ist und trotzdem geprüft wird. Dabei ist es in dieser unwirtlichen Gegend ganz oben in Norwegen wirklich wichtig, das richtige Equipment dabei zu haben. Oder haben es die Norweger etwa geschafft, den gesunden Menschenverstand nicht nur zu fordern, sondern auch so zu triggern, dass die TeilnehmerInnen tatsächlich kluge Entscheidungen treffen? Wenn sie mal nicht bevormundet werden?

Es wird spannend. An allen Fronten und Enden.

Jetzt heißt es Daumen drücken, dass das Wetter gut wird. Im Regen macht es nicht nur wenig Spaß, sondern wird auch richtig, richtig gefährlich in den technischen Passagen.

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