Was heißt es, als Läufer*in erwachsen zu werden? Neben den Höhen auch die Tiefen zu kennen? Zu merken, dass man nicht unzerstörbar ist? Zu wissen was man kann und mag – und was eben nicht? Zu verlieren und wieder aufzustehen? Dann ist meine Läuferseele wohl mittlerweile erwachsen geworden.

Das Maximum an Sonnenaufgang beim Pitz Alpine Glacier Trail 2022
Das Maximum an Sonnenaufgang beim Pitz Alpine Glacier Trail 2022

Ich marschiere klitschnass irgendwo im Korridor zwischen 2.500 und 2.8000 Höhenmetern durch die Pitztaler Alpen. Ich sehe fast nichts, denn neben dem vorhergesagten schlechten Wetter macht vor allem der Nebel beim Pitz Alpine Glacier Trail 2022 den Spaß ziemlich zunichte. Zumindest für mich (hier der ausführliche Bericht). Die Entscheidung steht: DNF. Did not finish. Ich werde abbrechen. Die drei Buchstaben, vor denen ich mich immer gefürchtet habe, die ich aber auch nie als Option zugelassen habe. Ich breche nicht ab. Kein Rennen ist stärker als ich.

Oder?

Bin ich ein Abbrecher?

Werde ich jetzt öfter diese Karte ziehen, nur weil zum Beispiel das Wetter schlecht ist?

Das Maximum an gutem Wetter beim Pitz Alpine Glacier Trail 2022 (c) PAGT
Das Maximum an gutem Wetter beim Pitz Alpine Glacier Trail 2022 (c) PAGT

Ich glaube nicht. Auch beim Innsbruck Alpine Trailrun Festival 2022 drei Monate zuvor war es kalt, hat es beständig geregnet und mir wurde der alpine Sonnenaufgang ebenfalls durch Nebel genommen. Aber es lief gut. Es hat mir Spaß gemacht, ich habe gefinisht und war danach so zerstört, wie es sich eben bei einem alpinen 80km-Lauf gehört (hier der Bericht).

Beim Seven Sisters Skyline 2022 in Irland ging es ebenfalls nur durch Regen, Sturm und Matsch. Meist knöcheltiefer Matsch. Ich habe das Rennen gefeiert, den Matsch gehasst, den Regen ignoriert, den Sturm genossen, gefinisht und Blasen aus dem mindestens sechsten Kreis der Hölle mitgebracht (hier der Leidensbericht).

Beste Bedingungen auch beim Seven Sister Skyline 2022 (c) JuJu Jay
Beste Bedingungen auch beim Seven Sister Skyline 2022 (c) JuJu Jay

Was war jetzt anders?

Einfache Antwort: Ich war verletzt. Nicht krank, wie beim Restonica Trail 2021 auf Korsika (auch hiervon gibt es einen Bericht), sondern verletzt. Der Knöchel war seit einem Trainingsunfall zwei Wochen vorher geschwollen. Die Bänder wahrscheinlich gezerrt. Ich wollte es trotzdem probieren – wissend, dass ich die 105km mit über 6.100 Höhenmetern im hochtechnischen und hochalpinen Areal wohl kaum finishen werde. Das schlechte Wetter und die resultierende, viel zu oft schlechte Laune haben die Entscheidung noch einfacher gemacht. Ich möchte mir nicht vorstellen, was bei besserem Wetter gewesen wäre… Ich hätte wahrscheinlich länger als 47km und 3.000 Höhenmetern durchgezogen. Und das wäre weder schlau gewesen, noch hätte es das DNF abgewendet. Aufgeben war in dieser Situation richtig und erstaunlich einfach.

If it can bleed, it can die

Jetzt kenne ich den DNF also. Ich fühle mich ein wenig wie in einem Horrorfilm: Wenn du das Monster gesehen hast, ist es nicht mehr angsteinflößend. Mein Sturkopf ist geblieben. Mit Regen auf dem Trail habe ich meinen Frieden gemacht, auch wenn ich ihn nicht mag. Obwohl ich das technischste lange Rennen bisher – den PAGT – abgebrochen habe weiß ich, dass ich genau diesen technischen Scheiß mag. Und kann.

Nach dem Rennen ist vor dem Rennen (c) PAGT
Nach dem Rennen ist vor dem Rennen (c) PAGT

Als Läufer bin ich jetzt wohl erwachsen geworden. Ich weiß, dass ich keine 20 mehr bin und manchmal verletzt bin. Ich weiß, dass die Rennen härter und technischer werden – weil ich das liebe und weil ich das kann.

Und ich weiß jetzt, was ein DNF ist: ein fieser Gegner, ein böser Gegner – ein Gegner dem aber genauso in die Eier getreten werden kann, wie allen anderen auch.

Berlin-style.

Bring it on.