4 Tage lang sind wir schon unterwegs. Zelt, Schlafsack, Verpflegung in den Rucksäcken. Wir sind am Nordkap gestartet, den Europäischen Fernwanderweg E1 runter. Seit 4 Tagen regnet es. Alles ist nass. Selbst die Taschentücher in der Plastiktüte in der tiefsten Mitte des wasserdicht verpackten Rucksacks. Die ersten Flussdurchquerungen waren noch aufregende Ärgernisse, die ersten wadentiefen Moraste waren noch Grund zum Fluchen. Sie wurden normal. Nach Tag 1 ist die 4er-Gruppe um 1 Person geschrumpft. #4 ist nicht fit genug, bricht ab, so lange noch die einzige Straße hier oben erreichbar ist.
Wilder, leerer, unwirtlicher als die weite Steppe am Nordkap wird es in Europa nicht. „Wahnsinnig schön hier. Glaube ich. Ich sehe halt nichts.“ Das Zitat vom 1. Tag im dichten Nebel hallt mental noch lange nach. Wenn der Regen mal aufhört, zeigt sich Nordnorwegen in seiner schönsten Pracht. Unberührte Natur. Traumhafte Weite. Wildlaufende Rentierherden – dann wieder stundenlang nicht mal ein Vogel. Auch kein Baum. Kein Pfad. Kein Vogel. Nichts.
Tag 4 endet nach weit über 30 Kilometern und nicht endendem Auf und Ab an einer Hütte, die laut Karte und Internet-Beschreibung existiert, in der Realität aber seit langem zum Klo für Tiere geworden ist. So weit so schlecht, denn ein Mitwanderer hat Schüttelfrost und Durchfall. Falsche Kleidung für die zwischenzeitlichen Schneefelder. Was heißt schon Hochsommer hier oben…
Tag 5 beginnt. Sonne. Blauer Himmel. Der Blick aus dem Zelt geht ins Paradies. Wir lagern auf einem Hügelrücken. Zur einen Seite Blick aufs Meer. Zur anderen in die schroffe Hügelwildnis. Endlich werden die Klamotten trocken. Der kranke Kollege zieht wieder Kraft. Wir schaffen es abends bis zu einer – existierenden – Hütte. Es geht natürlich durch Flüsse und wadentiefen Morast. Wir werden von Mücken zerstochen. Und doch: Was für ein Tag!
Was ich nicht weiß: Die beiden Mitwanderer beschäftigt ein Plan. Ein Not-Plan. Wir werden einen Tagesmarsch nach der Hütte an der einzigen Siedlung der Tour ankommen: Olderfjord. Dort wartet nicht nur ein echtes Bett auf uns – dort gibt es auch eine Bushaltestelle. Während wir, noch immer bei strahlendem Sonnenschein, loswandern, rücken sie mit der Sprache raus: „Wir sind bei Olderfjord raus. Das ist einfach zu krass. Wir nehmen den Bus nach Alta. Sorry.“ In Alta geht unser Rückflug in einer Woche.
Bäm.
Ich will nicht abbrechen. Das hier ist eines der tollsten Abenteuer meines Lebens. Ich will mich nicht geschlagen geben. Ich will nicht aufgeben.
Ich denke nach.
Es kommt, wie es kommen muss. Ich beschließe, alleine weiter zu gehen. Die Beiden kennen mich gut genug, um nicht zu diskutieren. „Alleine durch die Wildnis? Was ist, wenn du in einem Fluss umknickst, das Bein brichst? Dann bist du im Arsch!“ Sie wissen was ich sagen würde: „Ich weiß.“ Also geben sie mir ihren Kocher. Der ist besser als meiner. Drücken mir 2 weitere Rationen in die Hand. Ich werde mich täglich per SMS melden, wenn das Netz es zulässt.
Ich gehe weiter. Verlasse das bisschen Zivilisation, das Olderfjord bietet. Es regnet wieder. Vor mir liegt 1 Woche alleine im Niemandsland. Keine Menschen, Straßen, Bäume, Tiere. Es wird ein Abenteuer. Es wird intensiv. Es wird nass. So nass , wie ich es noch bei keiner Wanderung erlebt habe.
Alleine dort oben – das macht etwas mit dir. Wenn du nicht mit dir im Reinen bist, wenn du nicht alleine sein kannst, wenn du nicht im Moment bist, solltest du nicht dort sein.
Das alles ist drei Jahre her. Ich denke oft daran. Werde die Route irgendwann fortsetzen. Wie lang und wie weit ist nicht wichtig. Schon jetzt graut es mir vor dem Regen, dem Morast, den Flussdurchquerungen. Und doch: Ich will! Ich werde!
Schreibe einen Kommentar