Der Föhnwind pfeift um die kleine, private Sennerhütte in den Bayerischen Voralpen, irgendwo zwischen Lenggries und Bayerischzell. Eine Krähe krächzt – sonst ist nichts hören, während es langsam hell wird hinter der Bergkette. Es ist der 2. Tag des Bergzeit Alpincamp in Kooperation mit Black Diamond. Und dieser Tag muss sich verdammt anstrengen, wenn er Tag 1 noch übertreffen möchte.
„Das war schon der legendär berüchtigte Skihang hoch auf den Beerberg?“ Wo mir sonst die Socken qualmen und Oberschenkel brennen, marschiere ich erstaunlich locker durch den Nebel. Man sieht kaum die andere Seite der Schneise – schwer hängen Feuchtigkeit und Nebel im Morgengrauen. Oben macht entsprechend niemand das obligatorische Panoramabild von Suhl – man sieht ja nichts und so geht es einfach weiter.
Es ist mein 3. Start beim Heldentrail des Südthüringen Trail. Ein paar wenige Startende haben das Kerbholz komplett voll und starten beim 5. Geburtstag auch zum 5. Mal. Ziemlich cool. Die Vorfreude ist auch mit jedem Tag gestiegen, auch wenn der Wettbericht konstant darauf beharrt, dass am Renn-Samstag Regen und vielleicht sogar Gewitter anstehen.
Das Läuferleben kann so herrlich einfach sein… Ich sitze nach der knackigen ersten Etappe der Panorama Tour Sächsische Schweiz in Hinterhermsdorf neben meinem Zelt, den Rücken an den Mietwagen gelehnt und esse Campingkochernudeln. Es ist ruhig – leerer und ruhiger als in den Nicht-Corona-Jahren – Grillen zirpen, die Blaue Stunde legt sich kühl über den schwülwarmen Tag, die Muskeln freuen sich aufs schlafen. Perfekt.
Etappe 1: Festungslauf
Vorausgegangen war der komplett aktualisierte Festungslauf in Königstein mit 9,4 KM und 362 HM. Er solle „Trail Charakter“ haben, hieß es. Nach einem eher beengten Start vor der Schule und einer Ehrenrunde durch Königstein geht es konstant hoch zur berühmten Festung, dann wieder runter durch Felder, erneut eine Rampe hoch durch den Wald, rund um die steil aufsteigenden Mauern und durchs Haupttor in den riesigen Innenhof. Und ja, es war trailig, heiß und anstrengend, steil und teilweise technisch. Kurz: ein Fest! Und es wartete noch die Extra-Runde auf der Festungsmauer. Nach dem Anstieg also nochmal Vollgas, Publikum und hoher Puls. Da fällt es schwer, nicht komplett zu überpacen, denn zwei Etappen kommen ja noch! Aber was für ein Einstand – der zwei Stunden später im Sonnenuntergang zu Grillengezirpe ausfadet.
Was für ein schöner Ort: nach steilem bergauf, bergauf, bergauf ein kleines, schattiges Pinienplateau. Die Felsen, auf denen der bärtige Läufer sitzt, sind einladend wie ein Sofa.
Seit 2h Stunden schon habe ich fast konstant Krämpfe in so ziemlich allen Beinmuskeln, die man als Nichtmediziner kennt: Waden, vordere Oberschenkel, hintere Oberschenkel, das Zeug an der Seite. Ich will mich zu ihm setzen, aber sofort gehen die Muskeln in rigoroses Kontra. „Take my seat. It‘s a good seat“, sagt der Läufer und rückt ein wenig. Wir laufen beide nach gutem Start mittlerweile in der Invalidenabteilung des Restonica Trail 2021.
Das war anders geplant. Sehr anders. Was für Zeiten wären machbar? Was würde die Taktik sein beim ersten großen, internationalen Trailrun Wettkampf seit über 1,5 Jahren? 3 Tage vor Start ist das plötzlich egal. Sommererkältung. Ich fliege trotzdem mit einem Laufkumpel rüber – mindestens anfeuern würde ich ihn.
„Also, wenn sie noch weiter laufen wollen als bis Adam und Eva, vielleicht noch bis zum Lauensteiner Kopf und dann auf der anderen Seite zurück – da sind Sie sicher 20 Kilometer unterwegs. Aber Sie haben ja meine Telefonnummer. Zur Not sammel ich Sie irgendwo ein.“ Ich muss ein wenig schmunzeln unter der FFP2-Maske, als der Platzwart am Campingplatz Rattenfängerplatz dieses Rettungsangebot macht. Ich sage ihm nicht, dass ich das Vierfache plane. Den 81 km langen Ith Hills Weg. Alleine. Keine externe Versorgung – you want it, you bring it.
Interessant ist dieser kurze Reality Check aber trotzdem. Wir leben und trainieren in unseren Bubbles – und in meiner dreht sich viel um Sport. Da läuft man 20 km im Mittelgebirge auch schonmal vor dem Frühstück. Oder fährt mit dem Rad mal nach Dresden. Normal. Normal? Aber letztlich bin ich genau deshalb hier. Nachdem wieder die komplette Frühlings- und Sommerplanung von Corona-bedingten Wettkampfabsagen und -verschiebungen durcheinander gewirbelt wurde, musste ein Highlight her. Und wenn ich es halt selber organisieren muss. Aber wenn schon selber, dann richtig. Solo. Ohne Begleitung, ohne Support, ohne mentale Unterstützung.
Der Transalpine Run 2019 steckte mir noch in den Knochen, als ich im September 2019 nur eine Woche später beim Arberland Ultratrail gestartet bin. Und was habe ich den Lauf gefeiert! Großartiges Ding! Super liebevoll organisiert und in tollster Kulisse. (Bericht dazu gibt es hier.)
2020 wurde er abgesagt. Kann man verstehen, muss man aber nicht. Wie man einen durchaus vergleichbaren Wettkampf auch in COVID-19-Zeit erfolgreich organisieren kann, zeigte der Südthüringen Trail 2020 (hier der Bericht dazu.)
Ende März 2021 wurde der Arberland Ultratrail – geplant für September – erneut um ein Jahr verschoben. Die Info steht auf der Facebook-Seite und der Homepage. Eine Mail an die Angemeldeten? Nope. Startplatzgarantie für 2022? Nope. Man wird das Geld zurückerhalten und solle sich neu anmelden. Erklärung warum? Nope. Die Mail ist knapp eine Woche später übrigens noch immer nicht da. Sagen wir es mal so: Wertschätzende Kommunikation gegenüber den Teilnehmenden sieht anders aus.
Corona und der monatelange Lockdown machen etwas mit uns. Niemand von uns hat vorher eine Pandemie miterlebt, wir alle reagieren unterschiedlich. Im Guten wie im Schlechten, im Großen wie im Kleinen. Im ersten Lockdown, Frühling 2020, hat mir das Radfahren Ruhe gebracht. Am 18.03.2020 war der schon fast prophetische Titel der Fahrt „Ride for Headspace“. Als hätte ich es geahnt… Doch was passierte im zweiten, deutlich längeren Lockdown?
Die Tage wurden dunkler und kälter, die Bedingungen für lange Fahrten immer ungünstiger. Sozialleben: off. Gruppentraining: off. Abrgillen, Vorweihnachtstimmung, Winterurlaub: off. Also bin ich noch mehr gelaufen. So viel wie noch nie.
Die Sägerserie in Berlin ist Legende: Schon Anfang der 70er gegründet, bedeutet sie innerhalb von 4 Wochen 3x Cross- und Trailrun durch den Tegeler Forst mit jedes Mal längerer Strecke. Perfekter Ausklang für den Laufkalender 2020 denke ich mir und melde mich an. Hat ja auch einen super Ruf das Ding. Und dann kommt die zweite Corona-Welle. Unfreiwillig wird die Sägerserie 2020 damit wohl noch legendärer, da der krönende dritte Lauf nur 36 Stunden vor der staatlich verordneten Absage aller Sportveranstaltungen stattfindet. Punktlandung.
„Zählt das jetzt eigentlich schon als Trail?“ schallt es nach wenigen Kilometern von hinten, während wir bergab über Beton-Loch-Platten laufen und versuchen, uns nicht die Gelenke zu brechen. „Ich finde die Panzerplatten deutlich härter zu laufen als Trails!“ kommt gleich die Erwiderung, während ich aufs Unkraut zwischen den alten Jeep-Wegen der DDR-Grenzer ausweiche.
47 Kilometer und fast 2.000 Höhenmeter stecken uns nach rund 5:30 Stunden laufen und nur 4 Stunden Schlaf in den Knochen. Die Gipfel um Suhl sind nicht alpin, haben es aber in sich. Umso schöner, als wir die beiden gigantischen Brücken unterquert haben und die Wettkampfmoderatorin hören. Gleich ist der Riesentrail vom Südthüringentrail geschafft. „Noch 2 Minuten, dann startet der Wichteltrail,“ schallt es durch den Wald. Es ist der Kleine in der Runde: gut 17KM und 559HM. Zwei Haken hat die Sache: Wir laufen den Heldentrail. Wir hängen jetzt also noch eben diesen Wichteltrail dran – und starten die Runde zeitgleich mit dem hinteren Drittel des Starterfeldes.
15 Minuten vorher meinte Laufkollege Flo noch: „Genießen wir die Stille – damit ist es bald vorbei. Dann wimmelt es im Wald vor Wichteln.“ Ein lustiger und sehr wahrer Satz. Mit fast 250 StarterInnen ist die Strecke mittlerweile zum kleinen Volkslauf geworden. Da müssen unsere Muskeln nochmal ordentlich ranklotzen, denn unser Tempo liegt dann doch nicht am Ende eines Volkslaufes, sondern eher in dessen Mittelfeld.